„Auf Jobmessen und ähnlichen Events geht der Mittelstand hinter den Big Brands unter“

  • Gordon Böhme
  • geschrieben am: 20.05.2009
  • Autor: G. Böhme (yellowmed)
  • gelesen: 3468523894994 mal

Andreas Frintrup, u.a. Vorstand HR Diagnostics AG, im Interview zu Berwerbern, Image und den Chancen von kleinen und Mittelständischen Unternehmen in der heutigen wirtschaftlichen Situation.

ym: Die deutschen Hochschulen stellen das Studiensystem auf Bachelor- und Masterstudiengänge um. Nicht jeder hat diese Entwicklung mitverfolgt. Welche Erfahrungen haben Sie mit Absolventen der neuen Studiengänge gemacht?

Die Absolventen sind stärker denn je getrieben, schnelle (statt solide) Lösungen zu suchen und lassen eine solide Grundausbildung wie die des bisherigen Grundstudiums vermissen. Das Niveau entwickelt sich eindeutig in Richtung Fachhochschulausbildung  - dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass nun erst Praxisreife für den Bachelor vermittelt wird und methodische Grundlagen dem Hauptstudium vorbehalten bleiben. Das ist bildungspolitisch falsch und schwächt den Standort. Nicht die Geschwindigkeit sondern die Qualität einer akademischen Ausbildung ist das Erfolgskriterium.

ym: Ist die Qualiät der Ausbildung, besonders in technischen Bereichen, gestiegen?

Nein.

ym: Halten Sie Kommunikationskanäle, wie ein eigenes Firmenvideo auf Internetvideoportalen, für eine sinnvolle Ergänzung, um junge Menschen für das eigene Unternehmen zu begeistern?

Nein – Informationsvermittlung muss selbstselektiv und interaktiv erfolgen und nicht durch statische, durch den User unbeeinflussbare Filme.

ym: Gerade kleine und mittelständische Unternehmen vernachlässigen die Kommunikation nach außen. Welchen Stellenwert hat das Image einer Firma?
Als Beispiel: Die Website wird nicht gepflegt oder Neuigkeiten werden nicht kommuniziert.

Leider ein viel zu hohes – Untersuchungen zu den beliebtesten Arbeitgebern gleichen einer Rangliste der Markenbekanntheit. Wahre Top-Arbeitgeber mit geringer Brand-Stärke (z.B. Zulieferer oder Hersteller von Halbzeugen) werden häufig ignoriert. Das reflektiert das Sicherheitsbedürfnis der Bewerber, aber die aktuelle Krise wird lehren, dass auch die Big Brands nicht frei von Unsicherheiten oder Makel sind. Das ist eine große Chance für kleinere Arbeitgeber.

ym: Welche Möglichkeiten können Unternehmen zusätzlich nutzen, um für potentielle Bewerber interessant zu werden bzw. zu bleiben?

Einfache, schnelle Bewerbungsprozesse und eine Präsenz an Stellen, wo ein Bewerber sie nicht erwartet – auf Jobmessen und ähnlichen Events geht der Mittelstand hinter den Big Brands unter. Wer Top-Kandidaten sucht, muss andere Wege gehen. Welche, das hängt von Branche, Produkt und Standort ab. Denken Sie an Autowerbung auf dem Flughafen: Wenn dort nur ein Auto steht, drücken sich die Besucher die Nase daran platt, stehen dort 5, ist es normal und damit langweilig. Ich kenne Unternehmen, die technischen Nachwuchs in Modellbauclubs rekrutieren – dort sind sie erstens willkommen und zweitens ohne Wettbewerb zu den Big Brands. Auch eine Präsenz auf Tools wie www.berufsprofiling.de können helfen, in den Fokus der Bewerber zu rücken.

ym: Was können kleine und mittelständische Unternehmen für die Mitarbeitermotivation und Mitarbeiterbindung unternehmen?

Nur eines: Auswahl der richtigen Kandidaten. Dafür braucht man eine klare Kenntnis des Anforderungsprofils, gute und akzeptable Methoden der Personalauswahl, die auch die Bewerber über die künftigen Anforderungen informieren und einen schnellen, einfachen Bewerbungsprozess. Und: Gaukelt man den Bewerbern etwas vor, was hinterher nicht eingelöst werden kann, kauft man sich damit eine hohe Fluktuation ein - Ehrlich währt am längsten!

ym: Welchen Vorteil bieten professionelle Recruiting-Firmen?

Verteilung von Bewerbern auch auf Brands, die nicht in der ersten Reihe stehen.

ym: Welche Chancen für Arbeitgeber sehen Sie in der momentanen wirtschaftlichen 'Krise'?

Sich als solides Unternehmen zu positionieren, das über hinreichend Rücklagen verfügt, um auch durch schweres Gewässer zu manövrieren – das wird in Erinnerung bleiben, vor allem für mittelständische Unternehmen, die eine hohe lokale und soziale Verantwortung haben. Wer jetzt seine Mitarbeitenden halten und qualifizieren kann und mit neuen Produkten aufwartet, wenn die Krise um ist, wird der Gewinner in seinem Markt sein.

Zur Person

Andreas Frintrup ist im Vorstand HR Diagnostics AG (www.HR-Diagnostics.de), Geschäftsführer der S&F Personalpsychologie Managementberatung GmbH (www.personalpsychologie.de) und Lehrbeauftragter im Fachgebiet Wirtschaftspsychologie an der Universität Hohenheim.

Tätigkeitsspektrum:

Entwicklung personaldiagnostischer Verfahren und Prozesse (Personalauswahl, Potenzialanalyse und Leistungsbeurteilung)